Schuld ist ein mächtiges Konzept. Sie hält uns nachts wach, sie schnürt uns die Kehle zu, sie begleitet uns wie ein unsichtbarer Schatten. Aber was wäre, wenn wir aufhören würden, Schuld zu suchen – bei uns selbst und anderen?
Niemand kommt mit einem Schuldgefühl auf die Welt. Babys fühlen sich nicht schuldig, wenn sie schreien oder die Nacht durchwachen. Schuld ist etwas, das wir durch Erziehung, Gesellschaft und Kultur lernen. Uns wird beigebracht, dass bestimmte Handlungen „schlecht“ sind und Konsequenzen haben – nicht nur im Außen, sondern auch in unserem Inneren. Und genau hier liegt das Problem: Schuld sagt nicht nur „Das war nicht in Ordnung“, sondern „Du bist nicht in Ordnung“.
Viele von uns sind mit Schuld aufgewachsen: "Das tut man nicht!", "Jetzt hast du mich traurig gemacht!", "Schäm dich!" – Sätze wie diese brennen sich ein und formen unser Selbstbild. Kinder lernen so, dass sie nicht nur Fehler machen, sondern dass mit ihren Fehlern auch ihre eigene Wertigkeit infrage gestellt wird. Dabei führt Schuld selten zu positiven Veränderungen, sondern eher zu Angst, Unsicherheit und dem Wunsch, Erwartungen um jeden Preis zu erfüllen. Was wäre, wenn wir stattdessen auf Verständnis, Reflexion und Verantwortung setzen würden? Wenn wir Kindern beibringen, dass sie lernen und wachsen dürfen, anstatt sich klein und falsch zu fühlen? Schuld schadet – Entwicklung braucht Sicherheit.
Schuld lähmt. Sie sorgt dafür, dass wir uns schlecht fühlen, ohne dass sich irgendetwas ändert. Verantwortung hingegen ist etwas völlig anderes. Verantwortung bedeutet, anzuerkennen, dass eine Handlung Konsequenzen hatte – und dann etwas daraus zu machen. Während Schuld dich runterzieht, gibt dir Verantwortung die Möglichkeit, zu wachsen. Und noch etwas ist wichtig: Wir Menschen agieren immer in Wechselwirkung miteinander. Es gibt selten eine einzige Person, die „Schuld“ trägt. Vielmehr gibt es Dynamiken und Anteile, die sich gegenseitig beeinflussen. Wenn wir das erkennen, können wir aufhören, nach Schuldigen zu suchen, und stattdessen überlegen, wie wir unser eigenes Verhalten bewusst gestalten.
Schuld ist ein geniales Instrument, um Menschen kleinzuhalten. Sie sorgt dafür, dass wir uns selbst verurteilen und an uns zweifeln. Sie hält uns in Beziehungen, die uns nicht guttun, in Jobs, die uns auslaugen, und in Verhaltensmustern, die uns nicht weiterbringen. Wer sich schuldig fühlt, stellt keine Fragen, sondern geißelt sich selbst. Aber mal ehrlich: Wem hilft das?
Statt dich schuldig zu fühlen, frag dich lieber: Was kann ich daraus lernen? Wie kann ich es beim nächsten Mal anders machen? Und vor allem: Kann ich mir selbst mit derselben Freundlichkeit begegnen, mit der ich auch einer guten Freundin begegnen würde?
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